GoogleTV ist zu klein gedacht!

media_as_a_service_v09.008Google hat in den letzten Wochen ganz klar die Schlagzeilen rund um Internet-TV dominiert. GoogleTV und WebM sind sicherlich zwei wichtige Schritte nach vorne, wenn es darum geht Internet und Fernsehen zusammenzubringen und Video im Netz auf die nächste Stufe zu heben. Allerdings fehlt in den Bemühungen eine extrem wichtige Komponente: die Distribution.

Meiner Meinung nach macht Google einen fundamentalen Fehler mit GoogleTV: es verkauft alten Wein in neuen Schläuchen. GoogleTV ist letzten Endes nichts anderes als ein Interface für Fernseher, das den Zugriff auf andere Dienste erlaubt. Während dieses Interface geeignet erscheint zusätzliche Applikationen auf den Fernseher zu bringen löst es keines der existierenden Probleme des Fernsehens und macht den Fernsehkonsum an sich im schlimmsten Fall sogar noch umständlicher. GoogleTV bringt zwar das Internet und das TV-Gerät zusammen aber nicht das Fernsehen und das Internet.

Fernsehen ist eines der wenigen Medien, das komplett ohne Interface (oder mit einem extrem zurückgenommenen Interface) auskommt. In der Regel bedient der Nutzer seine Fernbedienung und braucht keine weiteres onscreen Interface. Dieses etablierte Bedienparadigma wird durch eine zunehmende Programmvielfalt und immer neue Set-Top-Boxen in Frage gestellt. Doch anstatt dem Nutzer einen wirklichen Mehrwert für seinen TV-Konsum zu bieten fügen die Internet-TV Lösungen in der Regel nur zusätzliche Komplexität hinzu. Das liegt darin begründet, dass niemand das existierende TV-Modell von A-Z hinterfragt sondern lediglich versucht wird on-top einen weitere Services zu etablieren. Ein typisches GoogleTV Setup wird demnach wahrscheinlich so aussehen: Kabelanschluss > Kabel-Box > DVR > GoogleTV > TV. Jeder Schritt zwischen Anschluss und TV fügt Komplexität und ein weiteres Interface hinzu.

Während in anderen Bereichen (Software as a Service) versucht wird Logik und offline Ressourcen ins Netz und somit in die Cloud zu verlagern geht Google mit GoogleTV den entgegengesetzten Weg und verlagert die Logik an die Ränder und dezentralisiert den Dienst.

Hybridmodelle werden scheitern

Kein Wunder also dass Steve Jobs der Meinung ist niemand kaufe sich eine weitere Set-Top-Box. Interessanterweise versucht gerade Apple den entgegengesetzten Ansatz und will TV in die Cloud verlagern. Das neue AppleTV soll dazu auf dem iPhone Betriebssystem basieren aber anders als GoogleTV soll die AppleTV Box lediglich die Verbindung zu einem Could-Service herstellen, wo die Inhalte und Abonnements gemanaged werden. Damit greift Apple Google auf einem Feld an das normalerweise zu Googles Kernkompetenzen (Netzinfrastruktur) gehört.

Eine Verbindung von Fernsehen und Internet kann nur funktionieren wenn der komplette Dienst End-to-End neu gedacht wird. Dazu muss die komplette TV-Distribution überdacht und neu gestaltet werden. Hybrid-Modelle (Satellit/Kabel und eine Internet Verbindung) werden es nicht schaffen eine einheitliche Experience zu erzeugen. Nur wenn das Broadcast-Signal über das Internet vertrieben und dort mit weiteren Informationen angereichert wird kann ein entsprechender Dienst von Erfolg gekrönt sein.

Das scheitern von Hybridmodellen liegt in fehlenden Metadaten und Schnittstellen des Rundfunks begründet. Schaut man sich heute einmal an, welche Metainformationen für TV-Inhalte zur Verfügung stehen sieht es sehr schlecht aus: Titel, Dauer und Startzeit sind die einzigen Informationen die mit Sicherheit für jede Sendung vorliegen. Thumbnail? Beschreibung? Fehlanzeige bei der Mehrzahl der Sendungen. Wüsste Google von jeder Webseite nur den Titel, die Dateigröße und das Datum wäre die Suche längst nicht so akkurat wie sie es heute ist. Solange GoogleTV oder vergleichbare Dienste nur auf diese „offiziellen“ Metadaten zurück greifen werden sie nie die theoretischen Möglichkeiten ausschöpfen können.

Hinzu kommt, dass es extrem schwierig wird in einem Hybridmodell TV und Internet zu synchronisieren. Dabei kann die Verbindung zwischen Internet und TV in einem solchen Modell immer nur auf dem Endgerät hergestellt werden. Wenn also ein User zum Beispiel auf GoogleTV eine Stelle im TV-Programm kommentiert wäre dieser Kommentar zwar auch im Internet sichtbar aber ohne das dazugehörige Bewegtbild. Letztlich wäre auch eine Deviceshift des Dienstes nicht wirklich möglich. GoogleTV auf dem PC oder dem Handy gibt es nicht in einem Hybridmodell.

TV neu denken

Damit GoogleTV und ähnliche Dienste ein Erfolg werden müssen sie tiefer ansetzen. Sie dürfen nicht versuchen lediglich verschiedene lose Enden zusammenzuführen sondern müssen das komplette Problem lösen und das beginnt bei der Auslieferung von Bewegtbild im Internet. Nur Anbieter, die auch die Distribution der TV-Inhalte über das Netz anbieten werden Erfolg haben. Internet und TV müssen eins werden und zwar nicht nur im Interface sondern auch in der Distribution. Natürlich bedeutet das eine enorme Herausforderung für das Internet und die Sender aber anders wird es nicht funktionieren.

Internet und Rundfunk müssen verschmelzen

Was muss eine entsprechende Lösung leisten? Es gibt bereits erste vielversprechende Ansätze aus ganz anderen Bereichen, die eine Indikation geben. Im Realtime- oder Echtzeit-Web wurde die ehemals zeitversetzte Komponente des Netzes ersetzt durch eine Übermittlung von Daten in Echtzeit. Twitter ist sicherlich der bekannteste Vertreter dieser neuen Generation und ein gutes Beispiel dafür wie man mit TV Streams umgehen könnte.

Twitter schafft es durch die vielen Nutzer quasi einen konstanten Datenstrom zu erzeugen, der in Echtzeit an ein Massenpublikum übertragen wird. Twitter sendet Tweets an über 75 Millionen User und verarbeitet pro Sekunde mehr als 440 Tweets. Dieser konstante Strom an Informationen ist vergleichbar mit dem was einen TV-Stream ausmacht. Auch dort werden jede Sekunde Informationen in einer ähnlichen Dimension ausgeliefert.

Jeder dieser Tweets besteht zwar sichtbar nur aus 140 Zeichen aber darunter liegen sehr viel mehr Informationen. Twitter weiß zum Beispiel von wo ich den Tweet gesendet habe und welches Programm ich dafür genutzt habe. Zudem hat jeder Tweet eine eindeutige ID und eine eigene URL. Darüber hinaus gibt es natürlich noch jede Menge weiterer Metadaten und es geht sogar soweit, dass man mittels Twitter Annotations selbst weitere Felder ergänzen kann. All diese Informationen macht Twitter für Partner in echtzeit zugänglich, so dass sich Twitter von einem Dienst hin zu einer Plattform entwickelt hat.

Dieser kleine Exkurs illustriert was dem Rundfunk im Internet fehlt. Während für 140 Zeichen auf all diese Informationen und Möglichkeiten zurückgegriffen werden kann sind Rundfunkinhalte immer noch nicht im Web angekommen. Ja, mittlerweile wurden einige Sendungen im Web platziert aber darum geht es nicht, der Echtzeitstream des Fernsehens bleibt dem Web im Moment verschlossen. Ein Äquivalent zu Twitters Firehorse oder Facebooks Graph API fehlt dem Fernsehen komplett.

Wenn man also TV aus dieser Black-Box befreien will um die Verschmelzung von Internet und Rundfunk voranzutreiben, dann müssen nicht nur die Fernsehstreams ins Internet wandern sondern diese müssen in eine Plattform integriert werden, die zumindest die folgenden drei Kriterien erfüllt:

  1. Die Inhalte müssen programmierbar sein. Das bedeutet andere können über definierte Schnittstellen darauf zugreifen, Inhalte filtern, abrufen und darauf aufbauend Neues erstellen.
  2. Die Inhalte müssen für alle zugänglich sein. eigentlich sollte jede Sekunde einer Rundfunkübertragung über eine Internetadresse verfügen, denn nur so können andere genau auf diese Sekunde zugreifen, diese Sekunde weiterleiten und anderen Mitteilen.
  3. Müssen die Inhalte über ein Syndikationsmodell verfügen. Es hilft ja nichts, wenn die Inhalte programmierbar und zugänglich sind aber über juristische Schranken verfügen, die die Verbreitung verhindern.

Fernsehen als gleichberechtigter Teil des Webs

Wir bewegen uns weg von einem festen Rahmen, der dem Nutzer vorgibt, wann und wie er einen Inhalt zu konsumieren hat. Statt dessen verwenden Nutzer zunehmen das gerade zur Verfügung stehende Gerät um ihr Konsumbedürfnis zu befriedigen. Sie sehen den Inhalt den sie wollen, wann immer sie wollen und das mit dem Geräte das sie gerade JETZT zur Verfügung haben. Das bedeutet letztlich, dass jede Initiative, die nur darauf abzielt Internet und das TV-Gerät zusammenzubringen zu kurz springt.

Die Nutzer wollen die gleiche TV-Experience und die gleichen Möglichkeiten auf dem Handy, dem iPad oder dem Notebook. Sprich Rundfunk und Internet müssen zwangsläufig verschmelzen sonst wird dies nicht funktionieren. Somit sollte es das Ziel sein eine umfassende und fesselnde Experience über alle Geräte hinweg zu erschaffen. Dazu bedarf es einer WebTV Plattform und nicht einer weiteren Box im Wohnzimmer.

Dieser Beitrag erscheint im Rahmen der monatlichen Gugel-Kolumne für das Blog des eVideo Projekts der HTW Berlin.


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