Alternativen zum Joint Venture von ProSiebenSat.1 und RTL

Seit letzter Woche gibt es eine erste Einschätzung des Kartellamts zum geplanten Joint Venture von ProSiebenSat.1 und RTL, die den Bemühungen um ein deutsches Hulu aus Senderhand erstmal hohe Hürden gesetzt hat. Nach Verhandlungen der Senderketten mit dem Kartellamt sind die Sender zum Entschluss gelangt, dass sie die Forderungen des Kartellamts nach Offenheit nicht erfüllen können bzw. wollen. Damit ist die anvisierte TV-Plattform in weite ferne gerückt.

Diese Entscheidung hat einige Implikationen für den deutschen Markt. Erstens ist es nun deutlich wahrscheinlicher, dass globale Unternehmen die Lücke füllen werden. Zweitens wird klar, dass es nicht die Sender sein werden die eine TV-Plattform aufbauen können und drittens besteht die Gefahr, dass sich die Nutzer noch viel mehr auf alternative Möglichkeiten zurückziehen um an TV-Inhalte zu gelangen.

Willkommen Apple, Netflix, Amazon und Google

Ein Joint Venture von RTL und ProSiebenSat.1 hätte die Chance gehabt eine starke deutsche Plattform für TV-Inhalte aufzubauen, die den Expansionsbemühungen der US-Unternehmen eine heimische Lösung entgegen setzt. Die Abwesenheit einer entsprechenden Plattform macht den Markteintritt für Apple, Netflix, Amazon und Google um einiges attraktiver und einfacher.

Apple

Apple ist mit knapp 65% Marktanteil für Video on Demand in den USA klarer Marktführer was bezahlte Downloads und den digitalen Filmverleih angeht. Mit dem neuen Datencenter in North Carolina, das demnächst die Filmauslieferung übernimmt macht Apple zudem klar, dass sie es ernst meinen mit ihrem Video- und Filmangebot. Allerdings könnte Apple auf absehbare Zeit darauf verzichten einen streaming Service anzubieten. Anscheinend waren die Bemühungen rund um Lala eine Art Versicherung, so dass zumindest in naher Zukunft wohl eher keine TV-Plattform von Apple zu erwarten ist.

Netflix

Netflix hat letztes Jahr über 7 Millionen neue Abonnenten in den USA gewinnen können. Zudem wurde die internationale Expansion in Kanada begonnen – ein Unterfangen, das nach nur einem Jahr profitabel sein soll. Für 2011 hat Netflix $40 Millionen zurück gelegt um weiter international expandieren zu können. Obwohl erste Gerüchte eine Expansion in Südamerika für wahrscheinlich halten ist der Europäische Markt natürlich auch eine attraktive Option. Netflix hat bereits etablierte Beziehungen zu den Studios und weiß wie man die Rechte verhandelt und wie viel die jeweiligen Rechte wert sind, ein Vorteil gegenüber allen anderen Konkurrenten.

Amazon

Amazon ist im deutschen Markt am weitesten mit der vollständigen Übernahme von Lovefilm.com hat Amazon nicht nur über 200.000 deutsche Abonnenten übernommen sondern auch einen Service, der das Netflix Model aus Amerika nach Europa bringt. Lovefilm verschickt wie Netflix DVDs per Post und bietet einen streaming Dienst für ausgewählte Filme und TV-Serien über das Netz an. Amazon hat zudem mit der Einführung von Prime Instant Streaming gezeigt, dass sie gewillt sind aggressiv in den Markt einzudringen. In Amerika erhalten existierende Amazon Prime Kunden das Streaming on-top ohne Aufpreis dazu. So will Amazon offensichtlich mehr Kunden für den erfolgreichen Expressversand begeistern. Die Einführung einer Kombination von LoveFilm und Prime Instant Streaming in Deutschland ist sehr wahrscheinlich.

Google

Google betreibt mit YouTube schon die führende Videoplattform in Deutschland. Allerdings will sich Google darauf nicht ausruhen. Google hat im letzten Jahr kräftig im Film- und TV-Bereich zugekauft. On2 Technologies für den WebM Codec, Episodic als Online Video Plattform, Widevine für das Digital Rights Management und fflick als Socialrecommendation Engine zeigen deutlich wo die Reise hingeht. Zudem hat Google mit Malik Ducard von Paramount und Robert Kyncl von Netflix zwei Experten für die Bewegtbildakquise eingestellt. All das ist wohl die Basis für einen streaming Dienst den Google in Kürze launchen will. Anders als die Konkurrenten Apple, Netflix und Amazon wird sich Google zuerst auf Europa konzentrieren und dann nach Amerika expandieren. Die Strategie könnte aufgehen, denn im Gegensatz zu den USA existiert in Europa lediglich in England mit dem BBC iPlayer ein nennenswerter Konkurrent. Mit den $100 Millionen, die Google in Content investieren will könnten sie zudem in Europa recht weit kommen und ein attraktives Abo-Angebot auf Basis von YouTube aufbauen.

Flucht nach vorn – offene Schnittstellen

Angesichts der drohenden Konkurrenz stellt sich die Frage, wie die Sender nun am besten darauf reagieren können. Erste Einschätzungen nennen die üblichen Lösungen: Eine Partnerschaft mit Axel Springer oder einem der Telcos. Beide Lösungen machen die Sender abhängig vom Wohlwollen des Partners, denn nach den gescheiterten Verhandlungen mit dem Kartellamt sind die Karten ungleich verteilt.

Doch interessanterweise hat das Kartellamt selbst mit seiner Forderung nach Offenheit eine aus meiner Sicht bessere Lösung vorgeschlagen. Die Sender sollten Dritten die Möglichkeit geben eine Plattform für TV-Inhalte zu bauen. Am besten sollten sie darauf hinarbeiten, dass nicht nur eine neue TV-Plattform entsteht sonder mehrere Plattformen, die miteinander konkurrieren. Deshalb wäre eine Partnerschaft mit Springer oder den Telcos zu kurz gedacht.

Dieses Ziel könnten sie erreichen, wenn sie ihre Inhalte über eine Schnittstelle allen potentiellen Partnern standardisiert zur Verfügung stellen. Dank der attraktiven Inhalte dürfte sich recht schnell ein Ökosystem rund um die Schnittstellen entwickeln, das innovative neue Dienste auf deren Basis erstellt. Auf den ersten Blick mag es komisch erscheinen, dass die Sender ihre Inhalte an Dritte zur Auswertung weiter geben, aber bei näherer Betrachtung wäre dies gar keine so schlechte Entwicklung.

  • Während TV-Sender laut Screendigest (PDF) auf ihren eigenen Seiten nicht selten Margen von über 80% mit dem Streaming erzielen können, hat Hulu eine Marge von um die 10%. Es ist also gar nicht so lukrativ eine TV-Plattform zu betreiben, wenn einem die Inhalte nicht gehören.
  • Die technologische Komplexität nimmt aufgrund neuer Connected Devices und neuer Plattformen immer mehr zu. Alle Geräte wollen mit entsprechenden Applikationen und Anpassungen bedient werden, was den Entwicklungsaufwand und die Betriebskosten in die Höhe schraubt.
  • Eine TV-Plattform der Sender ist kein Selbstläufer. Die Sender hätten ernsthafte Hürden überspringen müssen um ihre Plattform im Markt zu etablieren. Mit diesem neuen Ansatz sind sie nicht mehr darauf angewiesen, dass eine bestimmte Plattform Erfolg hat.

Mit einem Teile und Herrsche Ansatz würden die Sender diese Probleme umgehen während sie gleichzeitig von allen Entwicklungen, die da kommen mögen profitieren würden. Indem sie ihr Geschäftsmodell direkt in den Einzelinhalt implementieren und nicht auf einer eigenen Plattform können sie sich entspannt zurücklehnen und abwarten welche Plattform gewinnt.

Durch die Bereitstellung von Schnittstellen könnten etablierte Portale genauso wie Startups sich daran versuchen die bestmögliche TV-Plattform zu erstellen. Sie würden dabei nicht bei der Content-Auswahl sondern allein bei der Aufbereitung, Präsentation und Zusammenstellung konkurrieren. Viele innovative Lösungen wären das Ergebnis, von denen wiederum die Sender profitieren würden, da jeder Aufruf ihres Programms Umsatz bedeuten würde.

Herausforderungen an die Schnittstelle

Damit die Partnerschaft für beide Seiten funktioniert müssten die Sender vier Fragen beantworten. Erstens müssten sie klären wie sie ihre Inhalte standardisiert auf verschiedenen Plattformen vermarkten können, zweitens wie sie ihre Inhalte auf diesen Plattformen anbieten, drittens wie sie Produzenten für die Ausstrahlung auf diesen Plattformen entlohnen und viertens wie sie die Plattformbetreiber an den Einnahmen beteiligen.

Zudem bedarf es einer Vermarktung die mindestens den gleichen Tausend-Kontakt-Preis für Programme auf den Plattformen erzielt wie für die gleichen Programme im klassischen TV. Dass dies möglich ist hat Hulu in den USA bewiesen. Die Plattform hat es geschafft ihren Werbeerlös je halbe Stunde TV auf ein mit dem Rundfunk vergleichbares Niveau zu heben. Dies muss auch das Ziel der Sender sein, denn sonst kommen sehr schnell Überlegungen à la „Trading Analog Dollars For Digital Pennies“ auf. Um dieses Ziel bei der Vermarktung zu erreichen sollten sich die Sender damit beschäftigen, wie man am besten TV-Inhalte online vermarktet. Hulu hat viele Innovationen in diesem Bereich hervorgebracht (Auswahl des Werbespots, Fragebogen statt Werbung etc.) und so etwas wie einen Goldstandard für die Vermarktung eingeführt. Vergleichbare Bemühungen in Deutschland sind im Moment noch Fehlanzeige werden aber dringend benötigt. Mit reiner Frequenz und Penetranz kann es nicht funktionieren.

Neben der Herausforderung bei der Vermarktung haben die Sender auch noch die Herausforderung der Messung. Es sollte darauf hingearbeitet werden eine gesamt Quote auszuweisen, die auch die online Seher umfasst. Damit lässt sich vermeiden es Probleme gibt, wenn mehr im Netz gesehen wird.

Fazit

Mit dem Teile und Herrsche Ansatz würden die deutschen Sender zwar anderen Marktteilnehmern ermöglichen eine TV-Plattform mit ihren Inhalten aufzubauen aber sie behalten die Fäden in Bezug auf ihre Inhalte in der Hand, kontrollieren die Vermarktung und profitieren von allen Innovationen auf den Plattformen. Dieses Vorgehen würde die Relevanz der Sender sichern und gleichzeitig auch anderen deutschen Produzenten eine Chance eröffnen.

Sollten die Sender einfach abwarten könnten sie schnell bei einem Markteintritt von Amazon, Google, Apple oder Netflix in eine Bittstellerposition geraten. Denn alle großen Anbieter werden direkt mit den Hollywoodstudios über Inhalte verhandeln und im Zweifel ganz auf deutsche Inhalte verzichten, wenn die Bedingungen nicht passen. Mit der dargelegten Vorgehensweise könnte man den großen Playern eine deutsche Plattform entgegensetzen, ohne dass diese auf ein Joint Venture von ProSiebenSat.1 und RTL angewiesen ist.

Dieser Beitrag erschien im Rahmen der Gugel-Kolumne für das Blog des eVideo-Projektes der HTW Berlin. eVideo beschäftigt sich in ESF-geförderten, informalisierten Weiterbildungskursen mit verschiedenen Themen, um die Durchschlagskraft des Web 2.0 für die moderne Kommunikation zu erkunden.


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