Warum verklagt Viacom YouTube auf 1 Mrd. Dollar?

Die komfortable Ausgangslage des Fernsehens beruht auf einem Vorsprung bei der Nutzungsdauer, einer anderen Nutzungsart und einer anders gelagerten Bedürfnisbefriedigung. Diese Ausgangslage darf jedoch nicht dazu führen Internetvideos vom Tisch zu wischen, denn gerade für manche Sender sind sie eine enorme Bedrohung. Ein besonders populärer und eindrücklicher Fall ist der von Viacom, der hoffentlich ein großes Problem des Fernsehens illustriert.

Warum verklagt Viacom YouTube auf eine Milliarde Dollar? Aus der Antwort auf diese Frage lässt sich viel über die Bedrohung bestimmter Sender und Formate durch Internetvideos herauslesen.

Copyrightverletzungen?

Die offensichtlichste Antwort auf diese Frage ist natürlich Viacom hat YouTube verklagt, weil YouTube die Urheberrechte von Viacom verletzt. Allerdings ist YouTube genau vor dieser Anschuldigung explizit durch die Safe-Harbor-Provision des Digital Millenium Copyright Acts geschützt. Dieser Abschnitt schützt Internetanbieter vor den Konsequenzen der Benutzeraktionen auf ihren Portalen, solange sie den Take Down Notices unmittelbar folge leisten und bei der Verfolgung der Rechtsverletzer helfen. Diesen Anforderungen ist YouTube immer sofort nachgekommen. YouTube hat wiederholt Userdaten an Medienkonzerne zur Strafverfolgung weitergeleitet und hunderttausende Videos von der Plattform genommen.

Direkter Profit?

Das wissen die Anwälte von Viacom natürlich, weshalb sie versuchen den Fall so darzustellen, dass YouTube direkt finanziell von den Copyrightverletzungen profitiert und diese aktiv fördert. Nur so können sie hoffen den Fall zu gewinnen. Allerdings wird es schwierig werden diesen finanziellen Profit nachzuweisen, da Analysten davon ausgehen, dass YouTube 2006 gerade einmal einen Umsatz von 15 Millionen Dollar hatte, was wenn überhaupt maximal die Bandbreitenkosten deckt. Es gibt natürlich auch Rechnungen, die YouTubes Umsatz beim Zehnfachen ansetzen. Aber selbst da stellt sich die Frage, wie YouTube direkt von den Verletzungen profitieren soll, wenn auf den Abspielseiten keine Werbung angezeigt wir. Werbung wird nur auf den Übersichtsseiten angezeigt und ansonsten werden von YouTube lediglich Channels und Platzierungen vermarktet. YouTube profitiert zur Zeit also lediglich von der Aggregation und nicht dem einzelnen Abspiel. Das ist ein Geschäft, das die Google Anwälte zur genüge kennen.

Bessere Verhandlungsposition?

Aus diesen Gründen gehen viele davon aus, dass das Verfahren lediglich dazu dient, Viacom in eine bessere Verhandlungsposition zu bringen um letzten Endes einen größeren Anteil an den Werbeeinnahmen zu erhalten. Doch auch diese Überlegungen gehen zu kurz. Wenn es um Verhandlungsmacht geht, hat Viacom erstens schon einen sehr guten Stand und zweitens stellt ein solcher Prozess ein enormes Risiko dar. Geht der Prozess verloren können YouTube und Google die Bedingungen quasi diktieren.

Die großen Verlierer des Videobooms

Warum sollte Viacom dieses Risiko eingehen? Zumal Viacom mit iFilm und Atomfilms gleich zwei Videoportale unterhält, die genau auf die gleichen Safe-Harbor-Provisions angewiesen sind wie YouTube.

Dabei kommt übrigens der erste Schritt von Viacom im Kampf gegen YouTube in den Sinn. Man versuchte zuerst über iFilm, Atomfilms, Overdrive, Motherload und Comedy Central das eigene Programm zu promoten und Benutzer zu gewinnen und zu binden. Dazu hatte man YouTube aufgefordert 100 000 Viacom Videos zu entfernen um die Inhalte exklusiv über die genannten Viacom-Seiten zu vertreiben. Leider funktioniert die alte Logik des Fernsehens im Internet nicht mehr. Die User gehen nicht dorthin wo es die exklusiven Inhalte gibt sondern sie holen sich die exklusiven Inhalte dorthin wo sie sind und das ist in den meisten Fällen eben YouTube. Exklusivität hat somit nicht lange bestand und die Take Down Notices keinen Effekt auf YouTube und kaum einen auf die Viacom Seiten. Es gibt nur sehr wenige Fälle im Internet in denen Exklusivität wirklich funktioniert und dabei geht es meist um sehr spezielle Informationen, wie z.B. die des Wall Street Journals oder realtime Börsenkurse.

Interessant ist auch, dass Atomfilms und iFilm beide schon lange vor YouTube am Netz waren und von Anfang an qualitativ hochwertigere Inhalte hatten trotzdem sind beide Portale die großen Verlierer des Videobooms, da sie es nicht geschafft haben die richtige Mischung an Inhalten zu gewährleisten und eine breite Community aufzubauen. Aber es wäre allemal schädlich für Viacom, wenn die Safe-Harbor-Provision fallen würde, denn dann wären die Investments in iFilm und Atomfilms mit einem Schlag nur noch einen Bruchteil wert.

YouTube = MTV 2.0!

Die Antwort auf die Frage warum Viacom YouTube verklagt liegt also viel tiefer als die bisher angesprochenen Gründe. Viacom hat YouTube verklagt, weil es um das Überleben von MTV und ComedyCentral geht. Auf YouTube sind alle Videos unter zehn Minuten aber genau in diese zehn Minuten passt wunderbar ein Musikvideo, ein Stunt oder ein Sketch. YouTubes Strategie sieht vor alle Musikvideos der Welt zu vereinen und bis jetzt waren sie dabei sehr erfolgreich. Die Universal Music Group, die Warner Music Group, Sony BMG und neuerdings auch EMI – also alle vier großen Labels – haben Vereinbarungen mit YouTube. Aber es hört nicht bei den Musikvideos auf sondern geht bei den Stunts weiter. Jackasses gibt es auf YouTube zu tausenden. Gute Comedy in hunderten Videos. Reality TV? kein Problem. Teendramen? Lonelygirl15 lässt grüßen. Viele Shows auf MTV sind von User Generated Videos nicht zu unterscheiden: Handkameras, seichte, kurze Handlung – all das findet man auf YouTube en masse. Dazu kommt noch, dass die Kommunikation auf YouTube nicht auf SMS beschränkt ist. Die User können die Videos auf ihre Profile bei MySpace oder ihre Blogs mitnehmen, können direkt kommentieren und oder sogar live dazu Chatten. YouTube ist sozusagen MTV 2.0: kommunikativer, schneller, effizienter als es MTV je war.

Das ist der wahre Grund für die Milliardenklage: Viacom will YouTube aus dem Geschäft nehmen. Am besten für Viacom wäre es, wenn die Safe-Harbour-Provision gekippt würde und somit den ganzen Videoplattformen der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Ohne diese Provision steht Millionen von Schadensersatzforderungen nichts mehr im Wege.

Allerdings zeigt die Klage auch recht deutlich, dass nur die Symptome also in erster Linie YouTube bekämpft werden und nicht die Ursache. Es gilt eigentlich für Viacom zu verstehen, wie MTV 2.0 funktioniert anstatt mit Overdrive Fernsehen ins Internet zu bringen und sich mit Klagen aufzuhalten.

Dieser Fall ist ein sehr prägnantes Beispiel, es gibt auf jeden Fall noch mehr Formate und Sender, die von dieser Art der Bedrohung betroffen sind und sich Gedanken über eine geeignete Strategie machen müssen.

Soweit zu Viacom vs. YouTube als nächstes folgen die Betrachtungen zum Werbemarkt im Internet, wie sich dieser durch Internetvideos verändern könnte und welche Auswirkungen dies auf das Fernsehen hat.


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