Unbundling im TV-Markt?

Im Februar hat Michael DeGusta auf SAI ausführlich analysiert, was zum Abstieg der Musikindustrie beigetragen hat. Einer der wichtigsten Faktoren ist, dass die Konsumenten heute keine Alben mehr kaufen sondern hauptsächlich einzelne Songs. Allerdings fängt der zusätzliche Umsatz bei den Singles die lukrativen Albenverkäufe bei weitem nicht auf, was zum Umsatzeinbruch der Musikindustrie geführt hat.

Generell geht die Digitalisierung mit einem Unbundling-Effekt einher, der Inhalte aus ihren klassischen Vertriebsstrukuren wie z.B. dem Album löst und einzeln anbietet. In der Regel sichern Bundels eine höhere Marge, da hochwertige Produkte z.B. Hits mit nicht so hochwertigen Produkten z.B. Lückenfüller gemeinsam verkauft werden können. Nimmt man an, dass die Musikindustrie der TV-Industrie einige Jahre voraus ist, stellt sich die Frage, was das Äquivalent der Alben im TV-Bereich ist und ob ein ähnlicher Einbruch droht.

Für die TV-Industrie ergeben sich folgende Bundles, die betroffen sein könnten:

  • PayTV-Pakete: In der Regel werden (vor allem in den USA) PayTV Sender nicht einzeln verkauft sondern immer in Paketen gebündelt mit anderen. Wer HBO sehen möchte muss z.B. zuerst das Sportpaket abonnieren und dann noch das Entertainment Paket um dann unter anderem HBO zu empfangen.
  • TV-Programm: Jedes TV-Programm ist ein Bundle, das aus verschiedenen Inhalten besteht, die nacheinander auf der Timeline angeordnet sind.

Sollte eines oder beide Bundles aufgespalten werden hätte das massive Auswirkungen auf den Markt und könnte dafür sorgen, dass der Umsatz der TV-Industrie massiv einbricht. Nicht zuletzt definiert LinkedIn Gründer Reid Hoffman Disruption damit, wenn aus $10 Umsatz $1 übrig bleiben.

Unbundling der PayTV Pakete

Mindestens seit 2006 wird darüber diskutiert den PayTV-Abonnenten eine à la carte Auswahl an TV Kanälen anzubieten damit sie einzelne Kanäle buchen können und nicht mehr Pakete abonnieren müssen. Bis jetzt hat sich an dieser Tatsache wenig geändert, aus mehreren Gründen. Den Ersten fasst John Gruber schön zusammen:

Companies that succeed with complex pricing schemes tend to be those with no competition (e.g. cable companies and land-line phone services).

Zweitens bedeutet Bundling einen Komfort für Konsumenten, die sich nicht jeweils einzeln entscheiden müssen und nicht für jedes Produkt noch einmal neu bezahlen müssen. Drittens gab es bis jetzt keinen Grund etwas an den Paketen zu ändern. Die Abonnentenzahlen stiegen und es gab weit und breit keine Konkurrenz.

Dies hat sich im letzten Jahr geändert. Zum ersten Mal in der Geschichte der Kabelanbieter sind die Abonnentenzahlen rückläufig gewesen und mit Netflix und Hulu haben sich Konkurrenten aufgetan, die mit einem einfachen Preisschema und einem breiten Angebot zumindest bestimmten Nischenkanäle und vor allem den Premium PayTV Kanälen wie HBO und Showtime Probleme bereiten werden. Auch für Sport ergeben sich mit dem MLB.tv und ESPN Player Angebot zunehmen ernstzunehmende Alternativen im Netz zu den reinen Sportsendern.

Während Netflix den Satelliten- und Kabelnetzbetreibern vorerst noch keine Konkurrenz machen kann sind Premium Sender wie HBO und Showtime in heller Aufregung und spüren die Auswirkungen von Netflix bereits – HBO allein hat letztes Jahr 2 Millionen Abonnenten verloren. Als Premium Sender sind sie mit das letzte Paket das Kabelabonnenten abschließen können. Auf der anderen Seite sind sie natürlich die ersten die gekündigt werden. Anders als Netflix haben die Sender keine direkten Kundenbeziehung sondern werden von den Satelliten- und Kabelnetzbetreibern vertrieben und erhalten von diesen ihr Geld.

Seit Netflix begonnen hat nicht mehr nur Kataloginhalte zu erwerben sondern HBO für die Rechte der exklusiven Erstauswertung der TV-Serie House of Cards überboten hat, zeigt sich dass HBO und Co. mit Netflix konkurrieren müssen, ob sie wollen oder nicht.

Die erste Reaktion der Sender war ihre Inhalte nicht (mehr) über Netflix verfügbar zu machen. Showtime hat gerade angekündigt, dass der Deal mit Netflix über Serien wie Dexter und Californication im Sommer nicht erneuert wird und HBO hat klar gemacht, dass sie ihre Inhalte nicht über Netflix vertreiben werden solange der Service so günstig angeboten wird. Der einzige Weg diese Entscheidungen zu erklären ist, dass die Sender um ihre Existenz fürchten, denn sie machen ökonomisch keinen Sinn: HBO wertet Rechte, die Netflix über $200 Millionen wert wären, nicht aus und Showtime verlängert einen Deal nicht, der das Interesse an den Shows und auch den Ratings im Fernsehen geholfen hat zumal auch Showtime deutlich mehr Geld für die Verlängerung verlangen könnte.

Das Problem der Sender ist, dass sie keine direkte Kundenbeziehung haben und somit nicht frei entscheiden können was sie anbieten wollen. Wenn sie jedoch ernsthaft mit Netflix und Hulu konkurrieren wollen müssen sie ein anderes Produkt anbieten und zwar einen streaming Service, der Zugang zu ihren Inhalten erlaubt ohne dass die Kunden zuerst all die anderen PayTV-Pakete abschließen müssen und vor allem ohne an einen Distributor wie Comcast gebunden zu sein. Würden sie jedoch das tun schaden sie den Satelliten- und Kabelnetzbetreibern und damit ihren wichtigsten Kunden. Es ist eine prekäre Lage in der sie sich befinden – entweder sie beschleunigen das Unbundling und hoffen darauf nach dem Übergang immer noch eine Rolle zu spielen oder sie warten ab und sehen zu wie Netflix immer mehr ihrer Abonnenten gewinnt und finanzkräftiger wird um ihnen dann die Rechte streitig zu machen.

Unbundling des TV-Programms

Mittlerweile gibt es viele Möglichkeiten TV-Inhalte nicht mehr im Kontext des linearen Programms zu sehen: digitale Videorekorder, DVDs, Mediatheken der Sender und natürlich Hulu und Netflix. Die knapp 40% digitale Videorekorder Nutzer in den USA konsumieren um die 20% des Programms zeitversetzt. Die Hulu Nutzer haben im Februar fast vier Stunden Programm auf der Seite gesehen und Netflix streamt mehr Stunden an seine 20 Millionen Kunden als es Programm per DVD liefert. Nielsen weißt zudem aus, dass über ein Drittel der TV Seher zumindest einmal in Q2 2010 ein Programm im Timeshift gesehen hat. Doch anders als bei den PayTV Paketen ist die Situation in diesem Feld noch nicht so bedrohlich hauptsächlich deshalb weil sich bis jetzt noch kein Konkurrent hervorgetan hat, der diese Entwicklung stärker vorantreibt. All diesen Diensten geht die Bequemlichkeit ab, die ein lineares Programm liefert. Trotzdem gibt es ein paar Trends, die hier frühzeitig zum Handeln animieren.

(1) Aufgrund der Möglichkeit Inhalte ondemand zu konsumieren verlieren „first runs“ ihre Wichtigkeit. Fünf Jahre alte Serien können genauso unterhalten wie neue Serien, wenn sie für den Nutzer neu sind.

(2) Konsumenten entwickeln neue Konsumgewohnheiten. Serien werden am Stück oder zumindest im Block gesehen im Gegensatz zu einmal pro Woche eine Episode.

With traditional TV serials, one episode was aired each week. A key part of the model was getting the audience to come back each week. That started to change with DVR where viewers could choose to create a few weeks‘ backlog if they wanted and watch them in a batch. Once again, „Dexter“ demonstrates a further evolution. Once the whole season is available, I could watch as many or as few episodes as I wanted.

(3) Fernsehen wird auf anderen Geräten konsumiert. iPads, Laptops und PCs bieten alternative Nutzungsorte und -szenarien.

(4) Es werden andere Inhalte konsumiert neben den etablierten TV Inhalten haben sich verschiedenste Webvideos als neues Genre etabliert.

Anders als die premium Sender haben die Fernsehsender zum Teil schon gut auf diese Entwicklungen reagiert:

  • Sie stellen ihre Inhalte ondemand in Mediatheken zur Verfügung.
  • Sie versuchen Zuschauer durch mobile Applikationen, Social Media und Votings an das live Programm zu binden und dieses attraktiver zu machen.
  • Sie versuchen die Inhalte auch auf anderen Plattformen und Geräten verfügbar zu machen.
  • Sie experimentieren mit neuen und alternativen Inhalten.

Trotzdem sollten sie sich auf diesen Projekten nicht ausruhen – die Entwicklung wird hier noch weiter voran schreiten. Außerdem habe es die Sender bis jetzt noch nicht geschafft den Audience Flow ins Netz zu übertragen. Im klassischen TV Programm schaffen sie es Nutzer durch geschickte Programmierung auf neue Inhalte hinzuweisen und diese zu etablieren und unter Umständen Nutzer auch mit nicht ganz so hochwertigen Programmen zu unterhalten. Im Netz gibt es im Moment noch so gut wie keine Programmierung, die über den Einzelinhalt hinaus geht.

Unbundling im TV-Markt

Das amerikanische Kabel-TV Geschäft steht vor einer Umwälzung. Premium Sender wie HBO und Showtime stehen harte Zeiten bevor und wenn sie erst einmal kippen kann es schnell zu einem Dominoeffekt kommen und die klassischen PayTV Plattformen gehen mit unter. Was das Bundling im TV-Programm angeht scheint es so als ob den TV Sendern hier noch deutlich mehr Zeit bleibt und die Sender auch gewillt sind zu experimentieren um den richtigen Mix zu finden. Wer auch immer die richtige Formel finden um den Audience Flow aus dem TV ins Netz zu bringen wird damit sicherlich sehr erfolgreich sein. Netflix glaubt daran, dass es ihr Recommendationalgorithmus ist, Google glaubt daran, dass es ihre Suche ist – beide sind damit noch nicht wirklich am Ziel, von daher bleibt es spannend.

Dieser Beitrag erschien im Rahmen der Gugel-Kolumne für das Blog des eVideo-Projektes der HTW Berlin. eVideo beschäftigt sich in ESF-geförderten, informalisierten Weiterbildungskursen mit verschiedenen Themen, um die Durchschlagskraft des Web 2.0 für die moderne Kommunikation zu erkunden.


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