GoogleTV braucht kein WebTV

Schaut man sich die Medien an gibt es nur zwei Dinge an GoogleTV, die berichtenswert erscheinen. Erstens die monströsen Fernbedienungen und zweitens der Verbot der TV-Networks über GoogleTV auf ihre Inhalte zuzugreifen. Leider schießen beide Kritiken am Ziel vorbei genauso wie meine Kritik im Juni als ich GoogleTV vorwarf, dass der Service zu klein gedacht sei. All diese Kritiken sprechen Probleme an, die zutreffend wären wenn GoogleTV ein TV-Produkt wäre wie zum Beispiel ein Digitaler Videorecoder oder eine Set-Top-Box aber das Produkt hat einen ganz anderen Anspruch.

Strategische Positionierung

Rishi Chandra

Photo: Ilker Aslan

Rishi Chandra der Product Lead von Google TV hat auf der Streaming Media West die strategischen Beweggründe hinter GoogleTV erläutert und als kleiner Spoiler vorab: es geht nicht darum den Fernsehwerbemarkt aufzurollen. Google hat den Markt analysiert und festgestellt, dass es ein typisches „Henne-Ei-Problem“ vorliegt. Until you have content you don’t have users. Until you don’t have users you don’t get content. Eine Internetplattform auf dem Fernseher benötigt Inhalte um für Konsumenten attraktiv zu sein. Um jedoch für Content Anbieter attraktiv zu sein benötigt die Plattform eine breite Nutzerakzeptanz. Das eine geht also nicht ohne das andere. Von daher stellt sich die Frage wie man dieses Problem löst.

Als Lösungsansatz hat Google laut Chandra von Apple gelernt. Als Apple das iPhone auf den Markt brachte gab es noch keine Applikationen für das Smartphone – es gab noch nicht einmal einen Appstore oder ein SDK. Damals war der einzige Weg um an Inhalte zu gelangen der Webbrowser. Apple machte es damals für alle iPhone Besitzer extrem einfach Webinhalte auf ihrem Telefon abzurufen auch wenn diese nicht für Handys optimiert waren. Genau diesen Schritt geht Google nun mit GoogleTV. Sie machen das Web auf dem Fernseher verfügbar. Und zwar nicht nur einen kleinen Teil oder einen bestimmten optimierten Ausschnitt sondern Alles ohne Ausnahme und das in einer Qualität und Geschwindigkeit, die sich sehen lassen kann.

Die nächste Evolutionsstufe

Laut Rishi Chandra befinden wir uns in der nächsten großen Evolutionsstufe des Fernsehens nach der Einführung des Kabelfernsehens in der 80ern. Internet does what cable did to TV back in the 1980. More choice for users. New kinds of contents. Diese Evolutionsstufe bringt das Fernsehen von hunderten Kanälen auf mehrere Millionen. Aber wenn Chandra hier von Kanälen spricht meint er meiner Meinung nach nicht nur Bewegtbild. Google fasst den Kanalbegriff hier weiter. Er reicht von Applikationen über Webseiten bis hin zu Videoangeboten und Livestreams. All das kann auf GoogleTV integriert stattfinden.

Dieses breite Content-Angebot ist der eine Grund weshalb die Diskussion um das Blocken von TV-Seiten leidig ist. Der andere Grund ergibt sich wiederum aus einer Analogie mit dem iPhone. Sich heutzutage darüber aufzuregen, dass Networks GoogleTV blocken ist in etwa so, wie wenn man sich 2007 aufgeregt hat, dass Skype und später dann Google Voice nicht auf dem iPhone verfügbar waren. Es ist ärgerlich aber sicherlich nicht entscheidend. Denn genauso wie man mit dem iPhone immer normal telefonieren konnte kann man momentan alle Network Inhalte auf GoogleTV abrufen. Die Inhalte sind bereits über die Kabel- oder Satellitenbox des TV-Anbieters vorhanden und GoogleTV macht den Zugriff darauf um einiges komfortabler. Die Diskussion um die Blocks verfehlt den Kern also bei weitem – hätte Google eine Streaming Box gebaut wäre sie berechtigt. Das war aber bewusst nicht das Ziel von Google. Google will die Nutzung des Fernsehgeräts revolutionieren nicht aber das Fernsehen an sich.

GoogleTV ermöglicht verschiedene Geschäftsmodelle

Aus dieser Tatsache ergibt sich auch, dass GoogleTV so gut wie jedes Businessmodell der Inhalteanbieter unterstützt.

  • GoogleTV unterstütz das traditionelle Kabel-TV Modell indem es sich nahtlos in deren Boxen integriert und sogar die User-Experience verbessert. Die Set-Top Boxen von Comcast, Time Warner Cable und Co sind nicht gerade für ihre Benutzerfreundlichkeit bekannt.
  • GoogleTV unterstützt Subscription Modelle wie Netflix oder HBO bei denen sich der Kunde gegenüber dem Diensteanbieter authentifizieren muss um Inhalte zu sehen.
  • GoogleTV bietet werbefinanzierten Angeboten mit dem eingebauten Flashsupport die volle Bandbreite an Möglichkeiten der Vermarktung ohne sich zwischen den Anbieter und Werbetreibenden zu stellen.
  • Über den kommenden Android Market aber auch über verschiedene Webseiten wie Amazon on Demand unterstütz GoogleTV zudem auch Transaktionsmodelle.

Mit dieser Bandbreite überlässt Google die Vermarktung und das Geschäftmodell vollkommen den Inhalteanbietern, die das für sie beste Modell wählen können und dieses über GoogleTV ohne große Anpassungen ermöglichen können.

Aus dieser Tatsache schließe ich, dass Googles Plan für GoogleTV nicht so sehr darin besteht die existierenden Strukturen der TV-Landschaft zu erschüttern. [Was nicht bedeutet, dass Google diesen Markt nicht adressieren will – nur eben an anderer Stelle so zum Beispiel mit dem Google TV Ads Produkt.] Ich bin viel mehr der Meinung, dass GoogleTV eine langfristige Investition ist. Google will verhindern, dass sie im TV-Markt ähnlich links überholt werden wie es ihnen im mobile Segment passiert ist. Deshalb soll dieses Thema besetzt werden, auch wenn es für den Massenmarkt im Moment unter Umständen noch etwas zu früh ist. Google setzt darauf, dass sich in den nächsten Jahren die Nutzung des Fernsehscreens grundlegend ändern wird. Die Nutzer werden zwar immer noch viel fernsehen aber den Bildschirm auch zum Surfen oder für andere (online) Aktivitäten nutzen und genau an diesen neuen Nutzungsszenarien möchte Google partizipieren.

Herausforderungen an das Ökosystem

Rishi Chandra machte in seiner Keynote deutliche welche Probleme seiner Meinung nach noch zu lösen sind bevor der Markt reif für die Massen ist.

  1. Die Programmgestaltung muss überdacht werden. In einer Welt mit unendlich vielen Programmen muss der Audience Flow sehr gekonnt gesteuert werden um die Zuschauer von einem Programm zum nächsten zu leiten. Im Moment verlassen sich alle noch auf den User, dass er selbst sein Programm auswählt, dies ist jedoch nicht wirklich mit dem TV vereinbar. Vorgefertigte Programmabläufe wollen erstellt und verbreitet werden.
  2. Neue Mechaniken um Inhalte zu entdecken. Nicht einmal Google selbst glaubt daran, dass die Suchmaske die beste Lösung zum Entdecken neuer Inhalte ist. Es bedarf neuer Logiken, die es dem Nutzer erleichtern schnell für ihn relevante Inhalte zu entdecken.
  3. Neue interaktive Werbeformate. Selbst im Web hat Google den optimalen Werbemix für Videos noch nicht gefunden. Mit Trueview nimmt YouTube nun noch einmal einen neuen Anlauf und versucht dem Nutzer mehr Kontrolle und dem Werbepartner bessere Kontakte zu ermöglichen. Auf dem TV sieht es noch düsterer aus. Dort ist neben dem 30s Spot nicht viel passiert. Jetzt eröffnen sich viele neue Möglichkeiten um Werbung interaktiv, relevanter und nützlicher zu gestalten. Diese Potentiale wollen gehoben werden.

Diese Herausforderungen möchte Google nicht allein meistern. Sie versuchen vielmehr ein Ökosystem aufzubauen in dem andere Anbieter mithelfen die Probleme zu lösen. Die Eröffnung des Android Markets auf GoogleTV Anfang 2011 ist ein erster Schritt in diese Richtung, es geht jedoch deutlich weiter. Google gibt zum Beispiel Designern und Seitenbetreibern Tipps an die Hand, wie sie ihre Seite für den TV-Screen optimieren. Google will sowohl bei Konsumenten als auch Produzenten die Webexperience auf dem TV Screens ins Bewusstsein bringen.

GoogelTV ist eine sichere Wette

Photo: Ilker Aslan

Auch wenn die ersten Reviews der GoogleTV Geräte nicht gerade berauschend waren und die Verkaufszahlen von Sony wohl auch hinter den Erwartungen zurückbleiben wird sich GoogleTV auf jeden Fall auszahlen, denn Google hat es mit dem Dienst geschafft entscheidende Impulse im Markt zu setzen. GoogleTV ist somit ähnlich wie das Nexus One zu sehen. Das Nexus One war zwar kein kommerzieller Erfolg aber das Gerät hat den Qualitätsstandard für Android Handys neu definiert. Einen ähnlich wichtigen Impuls setzt GoogleTV für Connected Devices. Selbst wenn GoogleTV ein Flop wird legt es die Latte so hoch, dass die meisten Anbieter von Connected Devices kein Gerät mehr ohne einen Browser auf den Markt bringen werden. Letztlich dürfte es Google relativ egal sein ob Opera (heut der meistverwendete Browser auf Connected Devices) oder Chrome gewinnt solange sich der Browser auf den Geräten etabliert und die Nutzer vermehrt das Web auf dem Fernseher nutzen.

Dieser Beitrag erschien im Rahmen der Gugel-Kolumne für das Blog des eVideo-Projektes der HTW Berlin. eVideo beschäftigt sich in ESF-geförderten, informalisierten Weiterbildungskursen mit verschiedenen Themen, um die Durchschlagskraft des Web 2.0 für die moderne Kommunikation zu erkunden.


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