Rhythmus in der Produktentwicklung: ARD Mediathek

Es gibt kaum ein digitales Produkt aus Deutschland, das auf einem ähnlichen Komplexitäts- und Relevanz-Niveau agiert, wie die ARD Mediathek. In diesem Produkt fokussieren und entscheiden sich viele Fragen der digitalen Transformation der ARD. Hier werden die Stärken aber auch die Herausforderungen der ARD deutlich. Nicht nur gilt es, im Markt mit Playern wie Netflix, Amazon, Apple und Google zu konkurrieren, sondern auch die Prozesse und die technologische Basis der ARD darauf auszurichten, die Plattform optimal zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Hierzu ist es essentiell, eine lieferfähige Produktorganisation aufzubauen, die kontinuierlich Mehrwerte für Nutzer:innen realisiert. Wie wir diese Organisation steuern und versuchen mit der gesamten ARD zu synchronisieren möchte ich anhand von drei Beispielen erläutern.

tl;dr am Ende

Wenn Dich diese Herausforderung und unsere Art und Weise zu arbeiten ansprechen, dann bewirb Dich hier. Wir haben im Moment offene Stellen in so ziemlich allen Bereichen der Produktentwicklung bei ARD Online vom Produkt-Design über Mobile / Data / Frontend Engineers bis hin zum Produkt- und Projektmanagement.

Vorweg für den Kontext dieses Beitrags eine kurze Definition der Produktentwicklung: Produktentwicklung bedeutet in diesem Fall die kontinuierliche Entwicklung der Apps und Webseite der ARD Mediathek. Oder einfacher alles, was nicht Inhalt in der ARD Mediathek ist von Buttons über Navigation bis hin zur User Experience von der Zulieferung der Daten bis zur Auslieferung dieser an die Nutzer:innen.

Eine Kernaufgabe der Produktentwicklung ist es, das Innen – also die Organisation – und das Außen – den Markt, das Umfeld und die Partner – in Einklang zu bringen. Indem wir die ARD Mediathek als Produkt entwickeln, müssen wir die Inhalte der ARD so anbieten, dass sie für die Nutzer:innen attraktiv nutzbar sind. Dabei müssen wir selbstverständlich Rücksicht auf unsere Partner, das Marktumfeld und die sich abzeichnenden Trends nehmen. Wir müssen im Produkt konstant beide Seiten bedienen und im Sinne der Nutzer:innen auflösen. Wir müssen dafür sorgen, dass innerhalb der Organisation klar ist, wohin wir uns entwickeln, welche Produktstrategie wir verfolgen und wie alles zusammenpasst. Auf der anderen Seite müssen wir sicherstellen, dass unsere Aktivitäten die User Experience verbessern, Nutzer:innen-Bedürfnisse adressieren und wir nicht einfach unsere Organisation nach außen spiegeln.

Das sind konstante Aufgaben. Wir pendeln zwischen Innen und Außen und mit jeder neuen Version der ARD Mediathek bringen wir einen Teil von Innen nach Draußen, um dann mit dem Feedback wieder zurück in die Organisation zu gehen und neu anzufangen. Damit das funktioniert, müssen wir in einen Rhythmus kommen, der uns und Anderen den Takt vorgibt und uns bewusst zwischen diesen beiden Feldern pendeln lässt.

Was bedeutet Rhythmus? Letztlich ist es der Rhythmus, der eine Organisation antreibt. Bei einer Zeitung ist es die tägliche Ausgabe, für Werbetreibende ist es die Kampagne und für die Tagesschau in vielen Fällen die 20:00 Uhr-Ausgabe. Für die ARD Mediathek ist es jede neue Produktversion. Also wir haben etwas Neues aus der Organisation für Nutzer:innen im Produkt zugänglich gemacht.

Die drei folgenden Beispiele zeigen, wie uns ein verlässlicher Rhythmus in der Produktentwicklung hilft, die Mediathek nach vorne zu bringen.

Rhythmus im Team

https://twitter.com/oermemes/status/1395405374740643843 & https://twitter.com/elhotzo/status/1432621894163894274  

Nehmen wir die Suche als Beispiel. Ich denke, es gibt kaum ein Produkt geschweige denn ein Feature, das so viel Meme-Potential hat, wie unsere Suche. Selbstverständlich wussten wir um die Probleme der Suche und es gab zig Meetings, Ideen und Überlegungen die Probleme zu lösen: Feuerwehreinsätze, Ad hoc Task Forces, Quick wins … wir haben alles mitgenommen und es ist ja vermeintlich auch trivial: die Mediathek braucht eine gute Suche.

Doch ganz so einfach war es für uns nicht. Die Verbesserung der Suche ist eine kontinuierliche Aufgabe. Wir müssen also ein Team in die Lage versetzen, dass es beständig neue Features in der Suche releasen kann. Dafür mussten zuerst die Voraussetzungen geschaffen werden.

  • Erstens haben wir ein Organisationsproblem aufgelöst. Statt eine Suche, die global sucht und einer Suche, die innerhalb des Katalogs einer Landesrundfunkanstalt / Channels sucht, haben wir eine Suche eingeführt, die immer global im gesamten Inhaltskatalog sucht und bei Bedarf nach Landesrundfunkanstalt / Channel gefiltert werden kann. Allein diese kleine Änderung hat dazu geführt, dass wir die erfolglosen Suchanfragen massiv reduziert haben.
  • Zweitens haben wir die technologische Basis geschaffen, auf der das Team agieren kann. Wir haben eine neue Suchtechnologie an den Start gebracht, die uns verlässlich in die Zukunft bringt.
  • Drittens haben wir ein interdisziplinäres Team auf die Suche gesetzt, das kontinuierlich an der Suche arbeitet und dafür auch die notwendigen Ressourcen hat.

Mit diesen drei Änderungen, die im Oktober 2021 zum ersten Mal für Nutzer:innen erlebbar wurden, konnten wir die Suche seitdem grundlegend verbessern. Und das nicht, indem wir den einen großen Wurf gemacht haben, sondern indem das Team einen Rhythmus gefunden hat, in dem sie alle zwei Monate neue Features und Verbesserungen der Suche veröffentlichen. So haben wir im letzten Jahr viel aufgeholt und wir haben eine Roadmap für die Suche, die nicht mehr vom Management bestätigt oder gefordert werden muss, sondern das Team kann eigenständig die größten Painpoints identifizieren und lösen. So ist die Suche vom Eskalationsthema zum „Grundrauschen“ in der Produktentwicklung geworden.

Rhythmus in der Organisation

Eine Ebene weiter gilt es die gesamte Produktentwicklung zu orchestrieren. Eine Frage, die Produkt-Teams am meisten lieben ist: „Wann genau kommt Feature X?“. Klar ist das eine vollkommen berechtigte Frage, allerdings vermeiden wir Antworten darauf, wo es nur geht. Warum? Oft geht es den Fragenden gar nicht so sehr um das exakte Datum. Sie wollen sich viel mehr rückversichern, dass ein Feature kommt oder die Mediathek überhaupt sinnvoll weiterentwickelt wird. Fragende wollen oft der Priorität ihres Features Nachdruck verleihen. Es schwingt also viel Unsicherheit bei der Frage mit. Das ist ein vollkommen nachvollziehbares Bedürfnis von Stakeholdern, die an der Produktentwicklung hängen, aber dieser Wunsch wird nur unzureichend über ein Datum adressiert.

Die ARD Mediathek ist ein komplexes Produkt. Sie ist bei mehr als 50 verschiedenen Partnern mit Apps präsent. Der Markt ist extrem fragmentiert und wir müssen für zig Plattformen entwickeln. Von Voice über Mobile und Web bis TV – für so ziemlich alle Geräte und Interfaces gilt es, eine passende Version der Mediathek bereitzustellen. Das heißt ein Feature zu veröffentlichen ist nicht einfach nur einen Knopf drücken, sondern es sind extrem viele Knöpfe mit unterschiedlichsten Vorläufen und Rahmenbedingungen und Abhängigkeiten, die bedacht werden müssen.

Die Mediathek ist komplex

Die Produktentwicklung der Mediathek muss sicherstellen, dass die Konzeption alle Geräte und deren Besonderheiten berücksichtigt. Ein Beispiel ist das kürzlich veröffentlichte Regionen-Widget. Nutzer:innen können darüber ihre Region in der Mediathek auswählen und erhalten auf der Basis für sie passende Inhalte aus dieser Region. Dafür mussten Designs und Interaktionsflows für alle Plattformen erstellt und das Feature in all diese Plattformen implementiert werden. Wir mussten zudem mit unseren Content-Teams klären, welche Regeln für die Bestückung dieses Features gelten und dann mit allen Landesrundfunkanstalten abstimmen, dass sie diese Inhalte bereitstellen und das Feature entsprechend bestücken. Um das zu koordinieren, benötigen wir folglich einen verlässlichen Termin, den wir kommunizieren können.

Um das zu erreichen, haben wir unsere Planungen grundsätzlich umgestellt: Wir beginnen nicht beim Start eines Projekts und rechnen von dort nach hinten, sondern wir rechnen vom Ende zurück zum Ausgangspunkt. Wir haben grundsätzlich festgelegt, dass wir in der Regel mindestens einmal pro Monat eine neue Version der Mediathek veröffentlichen wollen. Wir wissen, wie viele Features wir in so einer neuen Version grob veröffentlicht werden können und wir wissen auch, wie nah wir entwicklungsseitig an so einer Version sind, die ein spezifisches Feature enthält. Wir wissen also sehr genau, was die nächste Version umfassen wird. Wir wissen einigermaßen sicher, welche Features in der Version danach Teil des Releases sind. Und wir können zumindest antizipieren, was in der Version danach kommen wird. So haben wir eine hohe Sicherheit für die nächsten drei Monate.

Auf dieser Basis können wir jederzeit eine Aussage dazu treffen, wann Feature X kommt. Entweder wir wissen, es kommt mit einer hohen Wahrscheinlichkeit in einer der nächsten drei Versionen oder wir wissen, dass wir das Feature eben nicht in naher Zukunft in der Mediathek sehen werden. Das ist zwar nicht immer die gewünschte Antwort, es schafft jedoch eine verlässliche Basis. So ist unser Job oftmals auch nicht alle glücklich zu machen, sondern alle Stakeholder ähnlich unglücklich zurück zu lassen und für unsere Nutzer:innen das Beste rauszuholen.

Dieses Vorgehen schafft Verlässlichkeit. Unsere Nutzer:innen und die ARD können sich darauf verlassen, dass wir kontinuierlich am Produkt arbeiten und wir regelmäßig neue Versionen veröffentlichen. Statt nachzufragen („Wann kommt Feature X?“) ändern wir das Spiel: jeden Monat gibt es eine Überraschung und alle haben Spaß beim Auspacken.

Dieser monatliche Rhythmus erlaubt es uns, auch die Aktivitäten um die Produktentwicklung der ARD Mediathek zu koordinieren. Wir wissen nun, wann wir mit der Konzeption und den Klärungen anfangen müssen, um eine Version releasefertig zu bekommen. Wir können komplette Zyklen von der Konzeption über die Entwicklung, Testing bis Review eines Features abbilden und wir haben Anknüpfungspunkte, die andere Teams und Bereiche der Organisation nutzen können.

So gibt es jeden Monat einen Termin „What’s next?“, in dem wir auf die letzte Version – also den letzten Monat – schauen und die nächsten beiden Monate beleuchten. In der Regeln können wir so um die 150 Kolleg:innen zeitgleich auf den neusten Entwicklungs- und Planungstand bringen. Auf diese Weise stellen wir eine hohe Verbindlichkeit her, denn wir sind uns sehr sicher, was im nächsten Monat veröffentlicht wird und einigermaßen sicher, was im Monat darauf folgt. Wir haben einen Taktgeber für uns, der sicherstellt, dass wir synchronisiert sind und andere gut mitnehmen können. Selbstverständlich kommen wir nicht ganz um die Frage „wann kommt Feature X?“ herum, aber wir haben jetzt eine bessere Antwort und wir haben bewiesen, dass wir regelmäßig Neues für Nutzer:innen bereitstellen, was die Ungeduld deutlich reduziert.

Organisationsebene

Jenseits des Rhythmus der Produktentwicklungsorganisation gilt es auch die gesamte ARD zu betrachten. Eine wichtige Eigenschaft dabei ist, dass die ARD ein dezentrales System ist. Dezentrale Systeme haben, gerade im technischen Kontext, ein paar Besonderheiten, insbesondere das Koordinationsproblem bei Standards und der Interoperabilität. Oder anders: Wie arbeiten die verschiedenen Akteure zusammen? Der Email-Standard oder auch den Podcast-Standard haben jeweils massive dezentrale Ökosysteme ermöglicht. Allerdings sind beide nicht gerade für eine schnelle Weiterentwicklung auf Featureebene bekannt. Das Problem bei dezentralen Systemen ist, wenn es einen Standard gibt, ist es sehr schwer diesen zu ändern und eine Adaption der Neuerungen im Ökosystem zu erreichen.

Das ist genau die Situation, in der sich die ARD Mediathek befand. Wir hatten ein dezentrales System mit einem Standard durch den alle Partner – immerhin 18 Beteiligte – ihre Inhalte der Mediathek zur Verfügung stellen konnten. Die eigentliche Herausforderung jedoch war, dass der Standard auf einer linearen TV-Logik basierte, also einer Sendung-verpasst-Logik. Damals konnte noch nicht annähernd antizipiert werden, was ein modernes Streamingangebot an Informationen und Daten für eine gute Experience benötigt.

Ein kleines Beispiel: Die ARD Mediathek hat über 180.000 Videos, aber jenseits dessen, dass es Videos waren und sie jeweils eine bestimmte Dauer hatten, wussten wir aufgrund magerer Metadaten nichts über diese Videos. Die Herausforderung war, diese Masse an Videos zu strukturieren. Hierzu wurde ein neuer Standard entwickelt, der auf ein modernes Streamingangebot passt. Jetzt hat die Mediathek Struktur im Katalog, sie weiß, ob das Video ein Krimi ist oder eine Dokumentation. Sie weiß, was für eine Art von Inhalt es ist: ein Film, eine Serie oder ein Mehrteiler. Und sie kann Beziehungen zwischen Contents und anderen Metadaten abbilden und weiß, was wie zusammengehört. Ist das Video der Trailer zu Serie? Ist es die dritte oder vierte Episode der zweiten Staffel? Ist dies die Originalfassung des Films …

Wir haben also diesen neuen Standard geschaffen, der im Moment von den Partnern implementiert wird. Doch nicht nur das. Wir haben den Standard so definiert und implementiert, dass wir ihn sicher und flexibler weiter entwickeln können. Auch hierfür haben wir einen Rhythmus vorgesehen. Zweimal im Jahr werden wir Erweiterungen am Standard vornehmen. Dieser Rhythmus gilt für die ganze ARD und alle Partner, denn sie können und sollten dann jeweils die Neuerungen auch bei sich implementieren und bedienen, um eine optimale Sichtbarkeit und Präsentation in der Mediathek sicherzustellen.

Unsere Aufgabe an dieser Stelle ist es, die ARD zu handlungsfähig zu machen und ihr durch unseren Rhythmus zu helfen sich zu wandeln, denn dann kann die ganze ARD mit all ihrer Kraft in der Mediathek wirken. Und das ist das Schöne an dezentralen Systemen. Sie sind deutlich resilienter und beständiger als zentrale Strukturen und können einfacher und besser skalieren.

Um noch einmal auf das eingangs erwähnte Bild zurückzukehren: Unsere Aufgabe in der Produktentwicklung ist es, einen Rhythmus in unsere Teams, in unsere Organisation aber auch die ARD zu bringen. Diese Rhythmen gilt es aufeinander abzustimmen, so dass sie sich verstärken und uns Sicherheit und Verlässlichkeit in der Produktentwicklung geben. Mit diesem Rhythmus, den Grundlagen, auf denen diese Rhythmen aufbauen und der Ausdauer der ARD sehe ich uns gut gerüstet, dass wir die Herausforderungen am Markt meistern, unsere Partner überzeugen und demnächst dann auch den einen oder anderen Trend in die Mediathek implementieren.

Vor allem gehe ich davon aus, dass diese Rhythmen auf Resonanz bei unseren Nutzer:innen stoßen und sich für sie zu einem guten Song zusammenführen.

tl;dr: Kurzzusammenfassung

  • Was wurde verbessert? Die Produktentwicklung der Mediathek setzt auf einen regelmäßigen, meist monatlichen, Veröffentlichungsrhythmus, für neue Versionen, die Nutzer:innen-Bedürfnisse adressieren und interne Anforderungen berücksichtigen.
  • Was bringt das? Der Rhythmus gibt Verlässlichkeit in der Kommunikation und Zusammenarbeit, erlaubt treffendere Prognosen zu Veröffentlichungszeitpunkten und gibt anderen Bereichen einen Anknüpfungspunkt. Nutzer:innen profitieren von einer kontinuierlichen, spürbaren Weiterentwicklung.
  • Warum das wichtig ist? Die Mediathek ist ein komplexes Produkt in einem komplexen Marktumfeld. Verschiedenste technische Plattformen sowie interne Entwicklungsteams und -schritte müssen zusammenarbeiten und koordiniert werden. Ein Rhythmus schafft Routine, Vertrauen und Transparenz.
  • Zwischen den Zeilen: Nur mit einer kontinuierlichen, wertstiftenden Weiterentwicklung der ARD Mediathek können wir die Lücke am Markt schließen und die Mediathek zur führenden Streaming-Plattform in Deutschland machen. Die Mediathek hat noch viel offensichtliches Potential im Produkt zu wachsen, so dass sie mit diesem Rhythmus noch große Schritte machen kann.
  • Big Picture: Die Komplexität der Produktentwicklung und Stakeholder können wir nicht ändern, deshalb brauchen wir Strategien und Workflows, die diese annehmen und es uns erlauben mit der Komplexität zu arbeiten. Das bedeutet auch an bestimmten Punkten Unsicherheiten auszuhalten.

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