Public Media Services: Metaphern und eine Operationalisierung

Geschichten helfen beim Verstehen. Ein komplexes Thema mit vielen Akteuren und unterschiedlichsten Facetten braucht also eine Geschichte und die beginnt meist mit einer Metapher. Die Beyond Platforms Initiative bedient sich dabei bei anderen Großprojekten: der Stadtentwicklung. Diese bietet einen schönen Rahmen, der uns hilft unser Vorhaben zu kommunizieren und zu operationalisieren.

Dies ist der dritte Beitrag der Beyond Platforms Initiative. Eine Übersicht der Akteure und Inhalte gibt es hier.

Rome ne s’est pas faite en un jour
Rom wurde nicht an einem Tag erbaut.

Li Proverbe au Vilain, 1190

… trifft den Neuanfang ganz gut, denn die Redewendung verbindet zwei Themen, die enorm wichtig sind: erstens steht sie dafür, dass es Zeit, Geduld und kontinuierliche Arbeit braucht um etwas Neues aufzubauen. Das gilt auch im Internet und vor allem dann, wenn wir über eine neue Infrastruktur für Medienangebote sprechen. Zweitens erlaubt sie die Referenz zur Stadtentwicklung, die eine ganz praktische Metapher für den Aufbau der Public Media Services ist, weil auch sie einen langen Zeithorizont im Auge behalten muss und gleichzeitig dafür sorge trägt verschiedenste Interessen auszugleichen und zu bedienen um so ein gutes gemeinsames Miteinander in der Stadt sicher zu stellen.

In The gentrification of the internet beschreibt Jessa Lingel einen Ansatz, wie Alternativen entwickelt werden können:  

Working to combat gentrification doesn’t mean an end game of toppling Facebook or rendering the mainstream web irrelevant. A more immediate goal is simply to diagnose a set of problems and suggest steps for demanding change

Es braucht also eine Analyse oder auch Diagnose des Status Quo, einen Plan mit konkreten Schritten und einem Rahmen in dem verschiedenste Akteure auf eine Veränderung hinarbeiten können. Dieses Vorhaben lässt sich mit drei Konzepten aus der Stadtentwicklung operationalisieren und beschreiben: dem Flächennutzungsplan, dem Bebauungsplan und der städtischen Infrastruktur.

Flächennutzungsplan – Werte

Der Flächennutzungsplan steuert die städtebauliche Entwicklung und zeigt bestehende und erwünschte Flächennutzungen (Wohngebiete, Gewerbegebiete, Parks, …). Für einen Neuanfang brauchen wir einen entsprechenden Plan, der das Miteinander regelt, der als gemeinsame Grundlage dient und vor allem die gemeinsamen Werte definiert, denn diese Werte schaffen den Zusammenhalt und werden den Rahmen – sozusagen die Stadtgrenze – bilden. Stimmen die Werte nicht und ist das Fundament zu schwach, dann kann zwar immer noch – wie in Miami – das Immobiliengeschäft boomen, doch langsam aber sicher wird alles im Meer versinken.

Anders als die großen Plattformen, die einfach für sich einen großen Platz im Netz besetzt haben und alles um sie herum mit ihren Parkplätzen asphaltieren, gilt es ein gutes Miteinander mit anderen Akteuren und den Bürger*innen des Netzes sicherzustellen. Ein stimmiger Plan also, der schon früh aufzeigt in welchen Bereichen besser nicht gebaut wird, wo was zuhause ist und welche Flächen (Herausforderungen) noch dazu gehören. So ergibt sich eine Grundlage auf die sich alle teilnehmenden Akteure verständigen können und innerhalb derer agiert wird.  

Verwandte Werte und Initiativen:

Bebauungsplan – Themenfelder und Initiativen

“What we need is a digital-media version of organic food or a local farmers’ market: ethically sourced, sustainably funded, and integrity-certified, all the way from CMS up. Although this potential new model is less scalable and profitable than media companies dressing up as Silicon Valley start-ups in order to absorb venture capital, it might last longer.”
– Kyle Chayka, In the Shadow of the CMS

Der Bebauungsplan konkretisiert den Flächennutzungsplan in gewissen Regionen. Wir können also in der Beyond Platforms Initiative einzelne Gebiete heraus greifen für die eine Bebauung und eine entsprechende Infrastruktur sichergestellt werden soll. Genauso wie bei einer Bebauung am Ende unterschiedlichste Akteure ihre Bauvorhaben umsetzen von Baugruppen über Investoren bis hin zur öffentlichen Hand, ist auch für die Public Media Services der Plan verschiedene Akteure zusammenbringen um einen funktionierenden neuen Stadtteil im Netz zu kreieren. Es ergibt sich aus dem Plan, welche Infrastruktur konkret notwendig ist, welche Flächen, wie genutzt werden, wo ein Park, eine U-Bahn, ein Einkaufszentrum oder eine Schule steht. All diese Aspekte resultieren wiederum in weiteren Projekten und Plänen. Der Bebauungsplan bildet also den Handlungsspielraum in dem viele Akteure, Organisationen, Initiativen und Menschen eigenverantwortlich arbeiten und auf die gemeinsamen Ziele hinwirken können. Er benennt zudem die Akteure und ihre Vorhaben, macht für alle Stakeholder die Prozesse und Vorhaben transparent und erlaubt es gemeinsam den Markt und den Bereich zu entwickeln.

Verwandte Pläne und Analysen:

Städtische Infrastruktur – Media Services als Infrastruktur

Städte sorgen im Sinne der Daseinsvorsorge für eine funktionierende Infrastruktur, die uns allen zur Verfügung steht. Es gibt (Ab-)Wasser, Energie, Verkehr, Telekommunikation und natürlich eine umfangreiche soziale Infrastruktur. All das will geplant und gepflegt werden. Sollen neue Flächen und Viertel erschlossen werden, ist es notwendig auch dort eine entsprechende Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und meist ist es zuerst die Infrastruktur, die geplant und gebaut wird.

Wenn wir ins Internet gehen, dann wurde die einstmals öffentliche Infrastruktur nach und nach durch kommerzielle Anbieter ersetzt und statt einem öffentlichen Nahverkehr haben wir jetzt die Mautstraßen der Plattformen. Statt einer Kanalisation und einem funktionierenden Ab-/Wassersystem haben wir, wie im London des 19. Jahrhunderts, die Scheiße auf den Straßen. Das hat Folgen – zwar keine Pest und Cholera – aber dafür manipulierte Wahlen, Hass, Hetze und jede Menge psychische Probleme.

Genauso wie London sich irgendwann dazu entschloss eine U-Bahn zu bauen und eine Kanalisation um den Verkehrs- und den Gesundheitsproblemen zu begegnen, müssen wir uns jetzt an das Internet machen und auch dort die notwendige öffentliche Infrastruktur nachziehen und bauen. Wir brauchen einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr, der dafür sorgt, dass Menschen unabhängig mit Medien interagieren und diese konsumieren können. Wir brauchen eine funktionierende Kanalisation, die dafür sorgt, dass all die Fakes, Hass und Propaganda nicht mehr auf der digitalen Straßen liegen und das Netz verschmutzen sondern in die Kläranlage kommen. Wir brauchen Energie und Telekommunikation, die dafür sorgen, dass der Zugang zu Medien sicher gestellt ist und ihre Finanzierung und Produktion gewährleistet werden kann.

Es gilt für den Neuanfang eine umfassende Infrastruktur in Form von Public Media Services aufzubauen, damit nicht jede*r einzelne Medienschaffende, jede Medienorganisation und jedes Medienunternehmen sich um all diese Probleme individuell kümmern muss, sondern kollektive Lösungen entwickelt werden.

In the 20th century, the value chains and rhythms of publishing, broadcasting, etc were developed around the major companies or institutions in each sector. In the 21st century, the rhythms of sectors are being reshaped not by institutions, but by ecosystems. […] This is why we can’t make change by trying to reinvent individual public media institutions – that’s a 20th solution to a 21st century problem. But perhaps we can do it by building, or at least mapping, an ecosystem that can support collaboration, development of shared rhythms, and resilience amongst a network of public media organisations. […] If we can help many small projects to collaborate and share infrastructure, then that collaboration in itself can start to build a significant weight.
Matt Locke, Public Media Stack newsletter 5

Verwandte Technologien und Inspirationen:

Ein Rahmen, ein Plan und viele autonome Initiativen

When social-media servers aren’t controlled by a small number of massive public companies, the incentive to exploit users diminishes.

Can “Indie” Social Media Save Us? –  Cal Newport

Um schnell vom Abstrakten ins Konkrete zu kommen, arbeitet die Beyond Platforms Initiative darauf hin einen Flächennutzungsplan, der die Werte definiert, einen Bebauungsplan, der aufzeigt was wo seinen Platz hat und wer an welcher Stelle agiert, und eine geteilten Infrastruktur, die alle den Werten verpflichteten Medienanbietern zur Verfügung steht, zu entwerfen und umzusetzen.

So gelingt es die Kreativität und die Schlagkraft Vieler zu nutzen um eine Alternative zu den großen Plattformen aufzubauen. Auf diesem Weg können wir die Public Media Services entwickeln. Mit der geteilten Infrastruktur, den Plänen und der Entwicklung eines gemeinsam bewohnten Viertels gelingt es Medienanbietern Gemeinsamkeiten zu betonen, Kollaboration zu fördern und geteilte Ressourcen und Infrastruktur effektiv zu nutzen und weiter zu entwickeln.

Akteuere und Inhalte der Beyond Platform Initiative

Die Beyond Platforms Initiative ist ein informeller Think Tank um Bertram Gugel, Kommunikationswissenschaftler und Berater, Florian Hager, Programmgeschäftsführer funk und Markus Heidmeier, Medienaktivist und Produzent. Folgende Inhalte gibt es bzw. sind geplant:

  • Vortrag zum Thema Beyond Platforms
  • Beyond Platforms: Public Media Services – ein (Neu-)Anfang
  • Public Media Services: Metaphern und eine Operationalisierung (dieser Artikel)
  • Die Herausforderung: Anforderungen an einen Neuanfang
  • Change the Game: Wir zerlegen Plattformen in ihre Bestandteile!
  • Gemeinsames Verständnis: Werte als Basis für den Neuanfang!
  • Infrastruktur: Protokolle & Standards statt Plattformen
  • Deutschland Pass: Netzwerk an Inhalten
  • UX: Erlebnisse statt Frickeln.
  • Direkte Zugänge und Audience Pooling

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