Realitätscheck für Socialmedia.

Am Dienstag war ich beim Burda Video Day 2006 (Internet kills the TV-Star) in München und hab bei dieser Gelegenheit hab ein gehöriges Maß an „altem Medien Denken“ eingeflößt bekommen. Auf die Details der einzelnen Vorträge möchte ich hier nicht eingehen, die Videoaufnahmen der Vorträge können bei Focus eingesehen werden.

Flow vs. Pipe

Ich werde viel mehr auf die Schnittstelle und das Verständnis der alten vs der neuen Medien (Socialmedia) eingehen und darauf was die beiden voneinander lernen können. Dazu möchte ich noch auf ein paar Punkte eingehen, die mir bei der Veranstaltung als diskussionswürdig aufgefallen sind.

Als einziger Redner der neuen Generation war der Dailymotion CEO Benjamin Beybaum vor Ort. Allerdings hat sich sein Vortrag – sehr zu meinem Bedauern – lediglich auf eine Funktionsdemonstration und ein paar Fakten zu Dailymotion beschränkt. Eingebrannt im Gedächtnis hat sich jedoch der Satz „we want our content to flow“. Dieses Konzept hat er eindrucksvoll mit den verschiedenen Playern und Embed-Funktionen von Dailymotion demonstriert.

„We want our content to flow“ trifft jedoch nicht auf die Projekte der anderen Sprecher zu. Hier wäre der Ausdruck „we want our content in the pipes“ die treffendere Umschreibung. Zwar wurden sog. 360 Grad Medienangebote vorgestellt, bei denen der Konsument über alle Medien hinweg den Content konsumieren kann, jedoch immer nur durch einen klar definierten Kanal und auf keinen Fall über Superdistribution.

IPTV oder Internet-TV?

Was mir besonders aufgefallen ist bei dieser Veranstaltung ist die Tatsache, dass jeder Sprecher etwas Anderes unter IPTV verstand. Es waren wohl so viele Meinungen zu IPTV (vom Übertragungsstandard bis zur Bezeichnung für Internet- und Mobile-Video), wie Anwesende im Raum. Sehr schade, denn eine klare Definition im Vorfeld hätte allen Anwesenden geholfen. Und die Redner hätten ihre Dienste besser Auseinader halten können und klare Verhältnisse geschaffen. So wurde das IPTV Angebot von ProSiebenSat.1 in einen Topf mit den Videhostern und neuen Internet-TV Shows wie Star Style TV geworfen. Es ist zwar durchaus richtig, dass es dem Konsumenten egal ist wie das Signal zu ihm kommt und wie die Technologie im Endeffekt heißt. Die Zuschauer nennen es wohl immer Fernsehen, aber auf einer Veranstaltung der Macher sollten die Fronten geklärt sein. Für mich hatte die Verwechslung von IPTV und Internet TV zumindest den Vorteil, dass ich ein paar sehr gute Artikel zu IPTV gelesen hab, die ich schon seit Ewigkeiten lesen wollte (dazu später mehr).

Den klassischen Medien geht es gut

Bemerkenswert bei dieser Veranstaltung war, dass alle Referenten äußerst positive Ausblicke gegeben haben. Das begann bei den Zeitschriften-Machern von Burda, die zwar erkennen, dass es den Zeitungen zunehmend schlechter geht, sich selbst jedoch sehr gut aufgestellt sehen.
Geht über das Fernsehen, das schon fast eine einmalige Arroganz an den Tag legt, in dem es annimmt alle wollten Fernsehen machen. „Alle wollen Fernsehen machen. Wir tun es.“
Bis hin zu den großen Marken, die repräsentiert durch die Mediaagenturen von fragwürdigen Zielgruppen der Web 2.0 Anwendungen Sprechen (Mir schien es so als ob sich der Google Deutschland Vertreter köstlich amüsiert hat). Und selbst der YouTube-Google Deal wurde klein geredet nach dem Motto Google habe nichts bezahlt, weil der Kurs nach dem Deal (ca. 1% in Aktien) um 4% rauf ging und somit die Ausgaben wieder drin wären, wir werden ja sehen wohin der Kurs in Zukunft geht.

Sprich alles in allem werden die neuen Aufmerksamkeitsmaschinen, denn nichts anderes sind die meisten Web2.0 Unterenehmen, noch als äußerst peripher wahrgenommen, in einer Medienwelt, die sich selbst genug ist. Was es bedeutet, dass z.B. MyVideo nach wenigen Monaten auf Position 23 der IVW-Messung steht oder warum YouTube laut Nielsen in Deutschland eine größere Reichweite als Spiegel- oder Focus-Online hat, wurde nicht geklärt. Auch nicht, was wohl passiert, wenn diese Entwicklung anhält.

User Generated Content ist gut, wenn er Kosten bei der Produktion spart oder mit Werbung kombiniert werden kann und die Mediaargenturen legen natürlich den Finger in die Wunde indem sie Horrorgeschichten von Markenentfremdungen erzählen.

Die größten Bauchschmerzen hat mir in diesem Kontext der Vortrag vom Playboy-Verlagsvize bereitet, der in jedem zweiten Satz davon sprach Inhalte im Internet zu verlängern. Eine solche Denkweise kann man sich höchstens mit den Playboy-Inhalten erlauben, alle anderen werden damit wohl äußerst schlecht fahren.

Internetvideos sind angekommen

Positiv aufgefallen ist mir, dass alle Anwesenden verstanden haben, dass Videos im Internet angekommen ist. Videos auf Nachrichtenportalen gehören mittlerweile zum Standard und dass man Videos nicht mehr in ein separates Popup platzieren zum guten Ton. Nur, was die Auffindbarkeit, den Einsatz, die Formate und die Integration von Videos angeht gibt es noch gewaltige Defizite.
Bleibt zu erwähnen, dass man nun dank dynamischer Adserver Pre-Rolls und Post-Rolls genau auf Videos und User zugeschnitten ausliefern kann. Das ist natürlich eine feine Sache und wenn man dafür von Werbetreibenden einen TKP von 80 Euro bekommt noch viel besser.
Aber wenn ich dann zwei Sätze später die billigen Produktionskosten (angeblich 500 Euro für einen ganzen Tag) rühme und vom Charm der Billigproduktionen schwärme bleibt ein bitterer Nachgeschmack: Wer wird denn hier über den Tisch gezogen? Die Werbetreibenden? Die Zuschauer? Die Produzenten?
Ich bin mir sicher, dass man nicht mehr lang Pre-Roll-Werbung zu einem TKP von 80 Euro vor billig Produktshows oder Joga im Büro verkaufen kann, also genießt es solang es noch geht. Sobald das Inventar größer wird und darauf müssen wir nicht mehr lang warten zählen auch hier wieder die Productions-Values und die Qualität.

Arroganz des Fernsehens

Was die Arroganz des Fernsehens angeht habe ich nur eine Erklärung: denen geht es in Deutschland noch viel zu gut und ignoriert eine Vielzahl von Zahlen aus den USA. Man glaubt mit VoD Angeboten, digitalen Sparten-Kanälen und IPTV-Angeboten für die Zukunft gut gerüstet zu sein und vertraut gleichzeitig Prognosen, die einen noch höheren Fernsehkonsum in den nächsten Jahren voraussagen.

Diese guten Aussichten können sich aber ganz schnell ändern. Momentan profitieren die Sender noch davon, dass es in Deutschland keine TiVos oder Slingboxen gibt, die erhältlichen Digital Video Recorder zu wünschen übrig lassen und Onlinevideorecorder erfolgreich vor Gericht bekämpft werden. Des Weiteren muss IPTV erst das Home-Wire Problem („7m+2Wände“) lösen, so dass auch hiervon kein großer Veränderungsdruck in den nächsten fünf Jahren zu erwarten ist.
Aus eigener Erfahrung kann ich dazu nur sagen sobald ein vernünftiger DVR vorhanden ist nimmt die Live-TV Nutzung rapide ab und sei es nur in der Form, dass man das Programm pausiert damit man es zu einer angenehmeren Startzeit sehen kann. Einmal Pause heißt gleichzeitig, dass man die nächste Werbepause(n) einfach überspulen kann. Hinzu kommt, dass sich Aufnahmen bequem und schnell über den Electronic Program Guide steuern lassen, was viel einfacher ist als die leidige VCR-Programmierung.
Diese Technologien werden die Werbebudgets der TV Sender schröpfen und sie werden auch nach Deutschland kommen. Von daher wäre es wohl interessant gewesen das Thema in „DVR kills the TV-Station“ zu ändern aber auf diese Problematik wurde nicht einmal eingegangen. Kein Wunder also, dass es dem Fernsehen noch so gut geht.

Socialmedia vs. Media

Welchen Platz hat also Socialmedia in dieser Medienlandschaft? Solange für die Medien noch keine klaren Erlöse und Geschäftsmodelle zu erkennen sind werden die Socialmedia-Unternehmen entweder belächelt oder zu lächerlichen Beträgen in die existierenden Medienkonzerne eingekauft werden (ProSiebenSat.1 macht das gerade exzessiv). Erst wenn das erste Unternehmen den IPO geschafft hat wird sich diese Sichtweise ändern, denn solange nicht mehrere Milliarden für die Unternehmen den Besitzer wechseln sind es für die alten Player lächerliche Beträge.
Außerdem werden sie natürlich gerade im Videobereicht versuchen ihre eigenen Angebote aufzuziehen und zu Beginn auch die größten Werbebudgets auf sich vereinen. Das fällt nicht weiter schwer mit den etablierten Sales-Teams und dem Glauben der Werbetreibenden über die fragwürdigen Zielgruppen bei Socialmedia-Angeboten.

Was hat gefehlt?

Was der Veranstaltung eindeutig gefehlt hat waren die Ausblicke, die Gedankenspiele und die großen Visionen. Es gab viele Produktdemonstrationen, Vorstellungen und Vermutungen aber nicht eine Idee, die sich als disruptiv erweisen könnte:

  • Wie wäre es die (Fernseh-)Sender abzuschaffen?
  • Wie kann man Content und Werbung auf neue Weise zusammen zu bringen?
  • Wie soll man in Zukunft durch die Videofluten navigieren?
  • Wie kann man das Business-Development und die Lizenzierung von Inhalten vereinfachen?
  • Wie kann man als Burda User Generated Content sinnvoll integrieren?
  • Wie lenkt man die Aufmerksamkeit effektiv?
  • Wie erziehlt man viral Growth?
  • Wie verdient man mit Socialmedia (viel) Geld?

Deshalb waren die Schlussworte von Hubert Burda für mich die interessantesten in denen er erklärte, dass sowohl Zeitschriften als auch Internet usw. nur verschiedene Interfaces sind und laufend neue Interfaces für Content hinzu kommen. (Update: Ich hab gerade einen Videomitschnitt der Rede bei Heiko Hebig gefunden, er hat auch eine Reihe Fotos geschossen.)

Was können Medien und Socialmedia voneinander lernen?

Socialmedia Angebote sind sehr effektiv und erfolgreich darin Aufmerksamkeit zu erzeugen und zu bündeln. Wohingegen die Medien ihre Stärken ganz klar in der Vermarktung und den wirtschaftlichen Bereichen und Ressourcen haben. Beide Felder könnten sich gut ergänzen jedoch ist der Weg zum Erfolg kein simpler Eins-Plus-Eins-Ansatz. Es geht nicht so einfach, dass man die Vermarktung von den klassischen Medien auf Socialmedia überträgt oder die Socialmedia-Funktionen bei den klassischen Medien integriert und auf das Ergebnis hofft (das wird Focus Live noch zu spüren bekommen).

Die Veranstaltung war ein richtiger Realität-Check, für alle, die sich mit Socialmedia-Startups beschäftigen. Zwischen den Leuten zu sitzen, die mit Medien richtig viel und seit langem Geld verdienen hat schon etwas. Für die auf dem Video-Day präsenten Medienschaffenden zählen eben vornehmlich nakte Fakten. Es geht nicht darum eine Vision, wie die von Dailymotion, umzusetzen (die erste Frage an den CEO war ob und für wieviel er verkauft). Es geht auch nicht darum einem Ideal zu folgen, sondern darum ein Geschäft zu entwickeln, Werbepartner zu finden und Geld zu verdienen. Das sind alles Punkt, die Socialmedia zum großen Teil erst noch lernen muss. Von daher vielen Dank an den mir unbekannten Leser, der dafür gesorgt hat, dass ich zu dieser Veranstaltung eingeladen wurde, es waren sehr interessante Einblicke.


Weitere Fragen?

Haben Sie Fragen zu meiner Tätigkeit oder benötigen meine Unterstützung?

info@gugelproductions.de